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10 Regeln für eine gute Wissenschafts-PM

Gefühlte 95 Prozent der wissenschaftlichen Pressemitteilungen zeigen, dass ihre Absender:innen eines der grundlegendsten Werkzeuge der Öffentlichkeitsarbeit nicht beherrschen. Dabei gibt es klare handwerkliche Regeln, wie eine Pressemitteilung aussehen sollte. Diese Regeln liegen nirgendwo unter Verschluss. Sie lassen sich sogar googlen und sind sehr eingängig.

Gerade deshalb ist es mitunter erschütternd, was da täglich über die Verteiler- und Informationsdienste auf den Tischen von Journalist:innen und Redakteur:innen landet. Doch keine Sorge, mit unseren 10 Regeln für eine gute Wissenschafts-PM sind die Zeiten schlechter Pressemitteilungen endgültig vorbei. Wenn Sie die folgenden 10 Punkte beherzigen, dann klappt es auch in Ihrer Hochschul-Pressestelle: 

1. Ignorieren Sie alle journalistisch-redaktionellen Grundsätze zum Erstellen einer Pressemitteilung.
Wissenschaft ist etwas Besonderes. Hier gelten andere Regeln und Werte als in der Welt der Sterblichen den Medien und der Öffentlichkeit. Journalist:innen und Redakteur:innen fehlt schlichtweg der intellektuelle Zugang zu Wissenschaftsthemen. Warum sollten Sie also auf deren Tipps bzw. Empfehlungen für eine gute Pressemitteilung hören? Ignorieren Sie jeden Versuch einer solch unqualifizierten Beeinflussung. Zeigen Sie der Medienmeute, wo der Erlenmeyerkolben hängt. Gute Wissenschaft lebt vom Glauben an das eigene Genie und die eigene Unfehlbarkeit. Gute Wissenschaftskommunikation sollte genauso denken und genauso handeln. Außerdem ist gute Wissenschaft unabhängig. Machen also auch Sie sich unabhängig in Ihrer Kommunikation.

science_humor12. Die Institutsleitung ist Gott
… und du darfst keine anderen Götter neben ihr haben. Selbst im ungewöhnlichen Fall, dass Sie als ausgebildete Kommunikationsexpert:in für eine wissenschaftliche Pressestelle arbeiten, gilt: Die tatsächliche Kommunikationskompetenz liegt bei den Dekan:innen sowie den Hochschulpräsident:innen. Warum? (Schon wenn Sie diese Frage stellen, sind Sie für eine entsprechende Tätigkeit nicht geeignet.) Natürlich qua Amt! 

Allein die Institutsleitung entscheidet über Inhalte, Schwerpunkte und vor allem die Reihenfolge der Namen in der nächsten Pressemitteilung. Sie entscheidet auch über Form und Sprache einer PM. Und weil die Leitung so viel mitdenkt und mitarbeitet, verdienen Pressemitarbeiter:innen an Hochschulen auch deutlich weniger als ihre Kolleg:innen anderswo. Aber das ist noch mal ein eigenes Thema.

3. Jeden Tag eine PM: Verwöhnen Sie die Presse
Bleiben Sie im Gespräch. Medien sind ein schnelllebiges Geschäft. Schicken Sie möglichst viele Pressemitteilungen raus. Anlässe gibt es genug. Schicken Sie zum Beispiel eine PM raus, wenn …

  • … Expert:innen sich letzte Woche getroffen und etwas kritisch diskutiert haben.
  • … Prozesse in einem Wissenschaftsfeld näher beleuchtet werden sollen.
  • … sich eine Nachwuchsgruppe seit letztem Jahr mit zeitgenössischer Literatur beschäftigt.
  • … eine Absichtserklärung unterzeichnet wurde.
  • … Ihr Institut seit zwei Jahren einen einzigartigen Zusatzstudiengang anbietet.
  • … Ihr Institutsdirektor eine besondere Leistung besonders gewürdigt hat.
  • … ein Forschungsstandort durch einen neuen Kaffeevollautomaten in der Kantine gestärkt wird.
  • … eine Ihrer Studien aus 1998 vor einem Monat in der Zeitschrift Science zitiert wurde.
  • … Ihre Institutsleitung etwas befürwortet oder begrüsst (z. B. dass eines Ihrer Forschungsthemen im Rahmen einer Tagung in Neu Delhi wieder in den internationalen Fokus gerückt ist).
  • … es angedacht ist, in einem bestimmten Forschungsfeld langfristig interdisziplinäre Diskurse zu initiieren.
  • … usw.

(Bis auf die Kaffeemaschine alles reale Themenaufhänger von Hochschul-Pressemitteilungen.)

4. Die PM-Überschrift: Bleiben Sie sachlich und seriös!
Vermeiden Sie originelle oder pointierte Überschriften. Wissenschaft ist eine ernste Sache. Natürlich erhalten Ihre Kolleg:innen aus anderen Instituten mehr öffentliche Aufmerksamkeit als Sie. Aber doch bitte nicht um den Preis der Seriosität. Am besten Sie übernehmen die Originaltitel der Forschungsprojekte aus den Fördermittelanträgen. Scheuen Sie dabei auch nicht den Zeilenumbruch. Lieber eine Headline mit zwei Umbrüchen als ein paar triviale Worte, die nur Aufmerksamkeit erzeugen.

5. Beantworten Sie die 5 w-Fragen
Das Entscheidenste in einer Wissenschafts-PM sind die 5 w-Fragen: Wer ist wichtig? Wer ist wichtig? Wer ist wichtig? Wer ist wichtig? Wer ist wichtig? Nennen Sie dafür bereits im ersten Abschnitt Ihrer Pressemitteilung alle beteiligten Wissenschaftler:innen, Institute und Förderer. Denn Hand aufs Herz: Wer sorgt dafür, dass bei Ihnen der Laden läuft? Wer bestimmt über die inhaltliche Richtung, über einzelne Forschungsschwerpunkte und über die Zu- bzw. Verteilung der Gelder? Richtig! Und wo steht in einer PM immer alles Wichtige? Richtig! Wir verstehen uns!

Natürlich listen Sie im ersten Abschnitt ausschließlich Folgendes auf: die Namen der Projektleiter:innen, aller beteiligten Wissenschaftler:innen sowie der kooperierenden Institute und Unternehmen (inkl. deren Leiter:innen bzw. Vorstände. Und keine Sorge: Das passt alles in einen Satz). Im zweiten Satz nennen sie dann alle beteiligten Landes- und Bundesministerien, deren Minister:innen, die verschiedenen Förderprogramme, in die Ihr Projekt eingebunden ist sowie alle übrigen Geldgeber:innen und vorhandenen Schirmherr:innen. Selbstverständlich können Sie an dieser Stelle auch bereits zum Ausdruck bringen, wie dankbar sie allen sind und wie wertvoll die Arbeit war, die jeder Einzelne geleistet hat.

6. Vermitteln Sie den Eindruck von Relevanz und Aktualität
Egal was Sie kommunizieren, betonen Sie immer die außergewöhnliche und aktuelle Bedeutung Ihres Anliegens. Lassen Sie erst gar keine Zweifel daran aufkommen. Besonders leicht gelingt Ihnen das durch Satzeinstiege wie:

  • Das Thema „XY“ ist in aller Munde.
  • Wie jeder weiß …
  • Führende Expert:innen sind sich einig, dass …
  • Es ist unstrittig, dass …
  • XY gehört zu den größten Herausforderungen unserer Zeit.
  • Es steht völlig außer Frage, dass …
  • Es ist bekannt …
  • XY wird immer wichtiger …

7. Beweisen Sie Kompetenz
Erwähnen Sie unbedingt, dass Ihr Institut ein renommiertes Institut ist. Das ist enorm wichtig! Keine Journalist:in schreibt über ein nicht-renommiertes Institut. Halten Sie auch immer eine Kopie Ihrer aktuellsten Renommee-Bescheinigung bereit – natürlich nur ausgestellt von renommierten Stellen.

Betonen Sie, dass auch Ihre Kooperationspartner:innen renommiert sind. Und ihre Wissenschaftler:innen. Und die Geldgeber. Spielen Sie dabei gerne mit Synonymen wie anerkannt, berühmt, angesehen oder namhaft. Wichtig ist, dass Sie diese Attribute so häufig wie möglich einsetzen. Um Ihre eigenen Wissenschaftler:innen hervorzuheben, sprechen Sie von den „führenden Experten:innen“ auf dem Gebiet XY, und dass diese eine „innovative Forschung“ leisten, und zwar an einem „international führenden Forschungsstandort“ und natürlich am „weltbekannten Institut“ für Grundlagenforschung.

Erwähnen Sie auch die internationale Strahlkraft der eigenen Forschungsarbeit. Vermitteln Sie ein reelles Bild der Kompetenzen ihrer Wissenschaftler:innen. Da Abiturzeugnisse und Habilitationsschriften von den Medien selten in Gänze aufgegriffen werden, nennen Sie alle Wissenschaftspreise und sonstigen Ehrungen bis hin zum Bundesverdienstkreuz des Institutsdirektors.

8. Fallen Sie nicht mit der Tür ins Haus
Verschießen Sie nicht Ihr ganzes Pulver, indem Sie Ihr Anliegen bzw. den Aufhänger Ihrer Pressemitteilung gleich zu Beginn nennen. Abgesehen davon, dass andere Inhalte hier vorrangig sind (siehe Punkt 5), halten Sie die Journalist:innen viel besser bei der Stange, wenn Sie die eigentliche Aussage auf drei Seiten Text verteilen.

Zudem lässt sich die journalistische Aufmerksamkeit erhöhen, indem Sie das eigentliche Thema durch Sekundärthemen flankieren. Führen Sie zum Beispiel aus, welche grundlegende internationale Bedeutung Ihr Institut hat und dass nächstes Jahr das 75-jährige Jubiläum ansteht, zu dem Sie an dieser Stelle schon mal herzlich einladen wollen. Save the date!

9. Bleiben Sie anspruchsvoll in Stil und Sprache
Hier müssen wir nicht lange diskutieren: Mit der gewöhnlichen Alltagssprache haben Sie nichts zu tun. Wissenschaft ist komplex. Wissenschaft ist anspruchsvoll. Das sollte sich auch in Ihren Pressemitteilungen niederschlagen. Deshalb gilt:

  • Seien Sie ausführlich und reduzieren Sie so wenig wie möglich. Wissenschaftler:innen stecken viel Zeit und Geld in die Forschung. Dem tragen Sie am besten durch eine mehrseitige Pressemitteilung Rechnung.
  • Vermeiden Sie Sätze unter 20 Wörter. Auch wenn laut Deutscher Presseagentur die Obergrenze der optimalen Verständlichkeit bei 9 Wörtern liegt, gilt: Kurze Sätze sind etwas für Anfänger, (die anspruchsvollen Gedankengängen nicht folgen können). Beweisen Sie akademischen Anspruch und intellektuelle Klasse. Schrauben Sie sich hoch auf 50 oder mehr Wörter.
  • Nutzen Sie Substantive – am besten die mit -ung. Die Verwendung sperriger Formulierungen zur Untermauerung der Bedeutung Ihrer Texte, führt zur Beeindruckung und Bewunderung der an der Evaluierung Ihrer Forschung beteiligten Stellen, sodass diese bei der genauen Überprüfung und Bewertung der Anträge Begeisterung zeigen und der Zuweisung und gewünschten Verwendung von Geldern keine Limitierungen entgegenstehen.
  • Fremdwörter! Fremdwörter! Fremdwörter! Übersetzen Sie nicht und suchen Sie nicht nach einfachen Synonymen. Wenn Sie „randomisierte Screening-Studien“ oder „existierende Desiderate“ meinen, dann schreiben Sie das auch. Wissenschaft ist Präzision. Hier hat sprachliche Unschärfe nichts verloren.

10. Feiern Sie den Misserfolg!
Die Presse hat Ihre Pressemitteilung komplett ignoriert? Sie haben nicht mal einen Abdruck erzielt? Glückwunsch! Was wollen Sie mehr? Das ist doch genau das, was die Kolleg:innen aus dem Elfenbeinturm der Wissenschaft immer gesagt haben: Wissenschaft ist nichts für die Boulevardpresse und auch nichts fürs gemeine Volk. Publiziert wird in Fachjournalen und was zählt, sind Zitierungen.

Die geringe Aufmerksamkeit in den Medien beweist eindrucksvoll, dass die Welt außerhalb der Scientific Community für wissenschaftliche Inhalte nicht bereit und auch nicht kompetent genug ist. Indem Sie das regelmäßig mit erfolglosen Pressemitteilungen belegen, leistet Ihre Kommunikationsstelle ganze Arbeit. Sie dürfen also das Budget für die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit noch weiter kürzen. Gehen Sie dafür direkt über Los und ziehen Sie nebenbei noch € 400.000 Fördergelder ein.

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