In den Sozialen Medien gibt es gerade ordentlich aufs Maul – und zwar für Action-Figuren. Das ist bei Superheld:innen nichts Ungewöhnliches. Ob Iron-Man, Guardians oft the Galaxy oder Cat-Woman: Einstecken gehört bei ihnen zum Handwerk. Bei Instagram & Co. sind es jedoch die „Erzeuger:innen“ von Action-Figuren, die derzeit einstecken müssen. Dafür werden sie kollektiv an den Pranger gestellt. Ihr Vergehen: Sie fördern Urheberrechtsverletzungen, vernichten berufliche Existenzen und zerstören das Klima – ja, kleiner geht`s hier nicht.
Doch der Reihe nach: Seit kurzem ermöglicht das generative Sprachmodell ChatGPT 4o, dass sich jeder ein künstliches Ebenbild erschaffen kann – sei es in Form einer Action-Figur, einer Strickpuppe oder einer Marmorbüste. Die Möglichkeiten, mithilfe von Künstlicher Intelligenz ein zweites, drittes oder viertes „Ich“ zu schaffen, sind unbegrenzt. Die Ergebnisse sind verblüffend realistisch und – mit Blick auf die eigene Person – auch so witzig, dass Instagram, Bluesky oder LinkedIn seit Wochen förmlich mit Action-Figuren geflutet werden.

So weit, so gut. Oder eben auch nicht. Was dem Online-Hype um die Action-Figuren unmittelbar folgte, war ein Bashing-Hype gegenüber denen, die diesem vermeintlich „infantilen Spaß“ erlegen sind und sich damit zum „willfährigen Konsum-Opfer der Tech-Konzerne und ihrer unregulierten KI-Krake“ gemacht haben (O-Töne). Lieschen Müller und Max Mustermann – bzw. Lisa und Max – als Zerstörer der Welt. Shame on you!
Viele Beiträge zu den Action-Figuren waren mehr als verächtlich: „Erwachsene Menschen, die jedem infantilen Hype folgen …“ – „Was für ein kindischer Spaß. Seid ihr jetzt alle Gestalter?“ – „Vor lauter Technikwahn die Umwelt vernichten …“ oder „Das eigene Ego als schlechte Action-Figur in einer Spielzeugpackung … haha … da haben wir alle mal zwei Sekunden gelacht …“. Ich würde mal sagen, so klingt ein getroffenes Ego.
Doch was ist da eigentlich passiert? Ganz einfach: Innerhalb kurzer Zeit haben viele Menschen eine neue KI-Anwendung ausprobiert und das auf spielerische Weise. Wie großartig ist das denn? Als Wissenschaftler und Wissenschaftskommunikator würde ich mir wünschen, dass sich viel mehr Menschen derart spielerisch und motiviert auch anderen wissenschaftlichen Themen nähern würden. Wenn das gelänge, hätten wir in breiten Teilen der Gesellschaft nicht so elementare Verständnislücken mit Blick auf die großen und kleinen Zusammenhänge in dieser Welt. Man stelle sich nur vor, wir würden uns genauso motiviert Themen widmen wie dem Klimawandel, dem nachhaltigen Leben und Wirtschaften oder der Demokratie und Gesellschaft.

Beim privaten Action Hero ging es aber nun um Künstliche Intelligenz. Diese hat problematische Seiten – und davon nicht zu wenige (siehe ganz unten, Anhang). KI ist eine disruptive Technologie, die viele unserer Lebensbereiche grundsätzlich verändern wird. Laien können den komplexen Entwicklungen dazu im Grunde kaum folgen. Durch die Medien erfahren sie vor allem von den herausragenden Dingen, die mit KI verknüpft sind – also von Durchbrüchen oder Desastern (bzw. Heilsversprechungen oder Weltuntergangsszenarien).
Das ist wichtig zu wissen. Denn entgegen entsprechenden PR-Statements aus der KI-Filterblase ist KI noch weit davon entfernt, „in der Breite der Gesellschaft angekommen zu sein“. Wenn Max und Lisa sich also am Smartphone eine Action-Figur erstellen, dann machen sie sich zunächst mal mit dem Grundprinzip generativer Sprachmodelle vertraut: dem Prompten. Darüber hinaus haben sie auch noch Spaß daran. Ihnen deshalb gleich alle negativen Aspekte von KI anzuhängen und sie mit Häme und Kritik zu überschütten, ist gelinde gesagt „ein bisschen drüber“.
Der künstliche Graben, der hier zwischen KI-„Expert:innen“ und KI-„Lai:innen“ gezogen wird, zeugt zudem von einer sehr eindimensionalen Betrachtungsweise. Er trennt (vermeintlich) Betroffene von Unbetroffenen, Berechtigte von Unberechtigten und Gut von Böse. Und er zeigt, wie einfach es ist, sich moralisch über andere zu erheben. Da ist zum Beispiel der IT-Experte, der auf LinkedIn darüber schwadroniert, „dass die ressourcenintensive Nutzung generativer KI doch bitte den Profis vorbehalten sein solle. Denn wo kämen wir dahin, wenn das plötzlich auch Hinz und Kunz machen würden – und dann noch mit so einem Kinderkram wie Action-Figuren?“ – Ah, wir haben verstanden. KI-Kompetenz also als exklusives Herrschaftswissen für die, die es auch studiert haben. Und in fünf Jahren folgt dann der LinkedIn-Post zur mangelnden digitalen Kompetenz in unserer Gesellschaft?
Doch schauen wir weiter, denn da ist auch die gelernte Gestalterin, Mitte 20, die ordentlich mit der emotionalen Keule auf den Sack (mit den vielen Mäxchens und Lisas darin) eindrischt. Sie beschuldigt alle, die eine Action-Figur gepromptet haben, sich „an der systematischen Ausbeutung von Kreativen zu beteiligen“. Schwer zu glauben, dass sie sich als Gestalterin künftig der KI-Technologie entziehen wird.

Schließlich sind da noch die Unbeteiligten, die sowieso über alles erhaben sind. O-Ton Hans-Werner (Mitte 60): „Ich hatte es bisher nicht nötig, KI zu nutzen und werde es auch künftig nicht nötig haben. Erst recht nicht für so einen Scheiß.“ Gut gebrüllt, Boomer, und hier gleich für dich zur Einordnung: Wenn man weder privat noch beruflich mit etwas zu tun hat, ist es ein Leichtes, sich moralisch darüber zu erheben und davon zu distanzieren. Übertroffen wird das nur noch von der küchenpsychologischen Interpretation, „der Hype um die Action-Figuren sei Ausdruck einer zunehmend narzisstischen Gesellschaft, die eben diesen Narzissmus durch Anwendungen wie KI noch kultiviere“. Wie schon gesagt: Kleiner geht`s bei diesem Thema offensichtlich nicht.
Fassen wir zusammen: Der Social-Media-Hype um die Action-Figuren war im Grunde nichts anderes als ein Hype um ein technologisches Gadget – so wie der Hype um den ersten Walkman oder der Hype um das erste iPhone. Die Action-Figuren haben nur deshalb so schnell ihre Runde gemacht, weil der Zugang zu ihrer Gestaltung (technisch wie fachlich) niedrigschwellig war. Und natürlich auch, weil die Leute mit den Ergebnissen enorm viel Spaß hatten. Für sie war es ein kreativer Prozess, ja sogar ein kreativer Lernprozess. Statt die Nutzer:innen dafür offensiv anzugehen und lächerlich zu machen, hätte man wunderbar einen weiteren Lernprozess anknüpfen können: Einfach mal sachlich über die Risiken, Probleme und Grenzen von KI aufklären.
Einige Kreative haben das wunderbar gemacht. Denn gerade bei komplexen Themen sollte man erst mal annehmen, dass die meisten Menschen gar nicht wissen, welche Probleme, Risiken und Restriktionen mit ihnen verknüpft sind. Doch auch unabhängig davon steht es wohl jedem Menschen zu, sich mit KI auseinanderzusetzen und sich in diesem Bereich auszuprobieren – ob privat oder beruflich, ob fachlich oder spielerisch. Niemand ist (qua Amt oder Person) mehr oder weniger dafür legitimiert.
Nachtrag: Ich finde es übrigens absolut charmant, wie sich in den Sozialen Medien viele aus der Kreativbranche unter den Hashtags #ActionFigureNoAI oder #StarterpackNoAI positioniert und sichtbar gemacht haben – und das ohne Bashing. Ob Gestalter:innen, Cartoonist:innen oder Grafiker:innen, sie haben in ihrem eigenen Stil ein Starterpack von sich erstellt und sind über die entsprechenden Hashtags gut zu finden.
ANHANG:
Hier einige der problematischen Aspekte von generativer KI, die u. a. der Grund für die Social-Media-Kritik an den Action-Figuren waren:
- Sprachmodelle verbrauchen enorm viel Energie. Der Energieverbrauch für eine ChatGPT-Anfrage soll zwar von ehemals 3 Wattstunden auf mittlerweile 0,3 Wattstunden (bei ChatGPT-4o) gefallen sein1, was dem Energieverbrauch für eine reguläre Google-Anfrage entspricht. Trotzdem aber führt die Summe von Millionen von Abfragen täglich zu einem enormen Energiebedarf.
- Neben Strom benötigen Datenzentren auch viel Wasser. Server in Rechenzentren müssen ständig gekühlt werden. Schon eine von ChatGPT generierte Mail mit 100 Wörtern „kostet“ zwischen 0,5 und 1,5 Litern Wasser, je nachdem, an welchem Ort auf der Welt die Anfrage verarbeitet wird2.
- Generative KI verletzt Urheberrechte. Ob Text, Bild, Sprache oder Musik, die Inhalte aller großen Sprachmodelle basieren auf der Nutzung vorhandener, häufig geschützter Werke3. ChatGPT & Co. werden mit dem gefüttert bzw. trainiert, was Menschen erschaffen haben – in der Regel ohne deren Einwilligung und ohne Nutzungsvergütung.
- Generative KI ersetzt die Arbeit vieler Kreativer. Die Erstellung eines Cartoons, Blog-Beitrags oder PR-Bildes ist mit Hilfe generativer Sprachmodelle auch für „Unkreative“ in kürzester Zeit möglich. Unabhängig von der Qualität dieser Produkte werden entsprechende Leistungen dann nicht mehr bei Fotograf:innen, Gestalter:innen oder Texter:innen eingekauft.
Buchempfehlungen: Wer sich kritisch und umfassend zu KI informieren möchte, findet im Buchhandel gerade zwei topaktuelle Bücher dazu.
Willkommen im Zeitalter der KI: ein Wegweiser durch die Welt von morgen
Wir erleben den «iPhone-Moment» der künstlichen Intelligenz, die Technologie ist erstmals für jede und jeden verfügbar. Damit stehen wir an einer entscheidenden Schwelle unserer kulturellen Evolution. Alles verändert sich überall auf einmal.
Miriam Meckel und Léa Steinacker zeigen die Chancen auf, die der Schritt über diese Schwelle birgt. Wir müssen nicht fürchten, als Menschen abgeschafft zu werden, denn: Alles, was die KI tut, geht zurück auf die Art und Weise, wie wir mit ihr umgehen. Das heißt aber auch: Wir stehen genau jetzt vor der Aufgabe, ihre Entwicklung in die richtigen Bahnen zu lenken. Doch wie gelingt das, und wo lauern Risiken, unerwünschte Nebeneffekte, ethische Dilemmata – ob in der Arbeitswelt, in der Wirtschaft, in den menschlichen Beziehungen oder im Alltag? Welche Fragen klären wir besser heute als morgen, sei es im Umgang mit selbstfahrenden Autos, virtuellen medizinischen Assistenten oder automatisierten Fake News?
Wenn wir in einer immer komplexeren Welt mithalten wollen, so Meckel und Steinacker, dann müssen wir auch unsere menschliche Intelligenz erweitern – selbst dabei kann künstliche Intelligenz uns helfen. Auch wir werden uns also verändern. Wie sieht die Welt von morgen aus, wie finden wir uns darin zurecht und entscheiden richtig? Dieses Buch weist den Weg.