Allgemein, Bessere Texte, Kommunikation

Beeindruckungsrhetorik

Erinnern Sie sich noch an Ihren letzten Arztbesuch, als die Ärztin zu Ihnen sagte: „Nach dieser langen Sportpause müssen Sie aber dringend wieder in die Bewegung kommen“? Oder die gestrige Pilates-Stunde, in der der Trainer sagte: „So, jetzt gehen wir gemeinsam in die Dehnung“? Da möchte man doch gleich seine Yoga-Matte aufrollen und ein fröhliches Liedchen pfeifend in Richtung Dehnung gehen.

Damit sind wir auch schon mitten im Thema: Ärztin und Trainer hätten genauso gut sagen können „Sie müssen sich mehr bewegen“ oder „Als nächstes dehnen wir uns“. Stattdessen nutzen sie sprachliche Konstrukte, die komische Bilder erzeugen und nur schwer verständlich sind. Formulierungen wie „in die Bewegung kommen“ nennt man Funktionsverbgefüge. Als wäre dieser Begriff nicht schon sperrig genug, so ist das, was er benennt, noch viel sperriger. Hier wird nämlich ein substantiviertes Verb (Bewegung) mit einem zweiten Verb (kommen) zusammengefügt. Vergleichbare Konstrukte sind „in Verbindung bringen“, „in die Diskussion stellen“ oder „in die Veränderung kommen“.

 
In Vorträgen lieber einfach und verständlich
sprechen. Sonst verlieren Sie Ihr Publikum.

Ob in Vorträgen oder Diskussionen: Oft suchen wir nach den richtigen Worten, ringen um eine gute Formulierung und landen dann ausgerechnet bei diesen mehr als unglücklichen Formulierungen. Dabei hatten wir die „richtigen“ (weil verständlichen) Worte doch längst im Kopf. So wollten wir vielleicht sagen: „Als nächstes sollten wir die Ergebnisse diskutieren“. Daraus wird dann aber: „Als nächstes sollten wir die Ergebnisse … äh … [An dieser Stelle folgt eine Denkpause, denn das Gehirn muss erst umformulieren.] … in die Diskussion stellen“. In der Denkpause haben wir ein Verb substantiviert und dann mit dem Funktionsverb kombiniert. Das Ergebnis ist ein sperriges Nominalstil-Konstrukt, das unsere Zuhörer*innen erst wieder dechiffrieren müssen.

Warum wir schwurbeln

Und genau das ist das Problem: Wer über das gerade Gesagte erst nachdenken muss, der kann uns nur schwer folgen. Das hat nichts mit den kognitiven oder intellektuellen Fähigkeiten der Empfänger*innen zu tun, sondern mit uns als Absender*in. Sprachlich ist es viel einfacher und verständlicher, wenn wir unseren Ursprungsgedanken äußern, statt ihn erst mühsam aufzublähen. Also, warum machen wir das überhaupt?

Oft erscheinen uns Aussagen zu schlicht. Die Worte klingen so „einfach“. Wir wollen doch professionell wirken, eloquent und gebildet. Wir wollen beeidrucken. Egal, ob wir etwas Wichtiges zu sagen haben oder nicht, es soll zumindest wichtig klingen. Dabei verwechseln wir allerdings Form und Inhalt. Inhaltlich-fachliche Kompetenz vermittelt sich nicht dadurch, wie wir etwas sagen, sondern dadurch, was wir sagen. Sich umständlich auszudrücken, ist kein Zeichen von Kompetenz – im Gegenteil.

Hier einige Beispiele für häufig genutzte Funktionsverbgefüge und die dazugehörigen (verständlicheren) Verben:

Funktionsverbgefüge Einfaches Verb
–          in die Bewegung gehen …
–          in den Austausch gehen …
–          in den Dialog treten …
–          in die Diskussion gehen …
–          XY findet seine Verwendung in …
–          in Verbindung bringen …
–          Anstrengungen unternehmen …
–          in die Reflexion gehen …
–          in die Veränderung kommen …
–          einer Überprüfung unterziehen …
–          dem Recycling zuführen …
–          zur Anwendung gelangen …
–          in Prozess der Neuausrichtung gehen
–          eine Forderung erheben …
–          zum Abschluss bringen …
–          von etwas Gebrauch machen …
– führt zur Verunsicherung
–          etwas zur Herstellung bringen …
–          eine Kürzung vornehmen …
–          eine Verbesserung durchführen …
–          eine Wirkung ausüben …
–          in Abhängigkeit befinden …
–          Beobachtungen anstellen …
–          den Beweis führen …
–          bewegen
–          austauschen
–          besprechen
–          diskutieren
–          wird verwendet
–          verbinden
–          anstrengen
–          reflektieren
–          verändern
–          überprüfen
–          recyceln
–          anwenden
–          neu ausrichten
–          fordern
–          abschließen
–          gebrauchen
– verunsichert
–          herstellen
–          kürzen
–          verbessern
–          bewirken
–          abhängig sein von
–          beobachten
–          beweisen

 

Formulieren Sie nicht! Komplexe Themen brauchen einfache Worte.

Befremdend und realitätsfern

Funktionsverbgefüge sind nicht nur sperrig, sie wirken auch unnatürlich und aufgesetzt. In der Linguistik nennt man sie Schwellform. Im Job übertreffen wir uns geradezu mit solchen Schwellformen. Als ob die Themen, über die wir reden, nicht schon komplex genug wären. Packen wir sie auch noch in komplexe Worte, leidet die Verständlichkeit mitunter deutlich.

Mittlerweile wissen Sie bestimmt, wo Ihnen solche Formulierungen regelmäßig begegnen. Es sind Orte und Situationen, in denen diese Form der Beeindruckungsrhetorik täglich ihre Anwendung findet. (Na, aufgepasst? Das war gerade ein überflüssiges Funktionsverbgefüge. Das einfache Verb „anwenden“ hätte völlig gereicht). Es geht um unser berufliches Umfeld. Hier werden wir mit diesen Konstrukten förmlich erschlagen, vor allem in Seminaren, Vorträgen und Meetings. Hier haben wir es uns überhaupt erst angewöhnt, so sperrig zu sprechen. Daheim oder im Freundeskreis tun wir das nicht. Keiner käme auf die Idee zu sagen: „Schatz, wir sollten die Windel von Lisa mal einer Überprüfung unterziehen“ oder „Da steht schon der Bus. Wir sollten jetzt deutlich stärker in die Bewegung kommen“.

Gerade im beruflichen Umfeld glauben wir, sprachlich imponieren zu müssen.

Wie befremdend und realitätsfern eine solche Sprache ist, zeigt sich vor allem im pädagogischen und esoterischen Bereich (gerne auch in der Coaching-Branche). „Wir müssen in die Diskussion/den Austausch/die Reflexion/die Veränderung gehen“ zählen dabei noch zu den Standardfloskeln (ja, diese Formulierungen sind Floskeln und Sie sollten allein deshalb schon darauf verzichten). Meister ihres Faches sagen so schöne Schwurbelsätze wie: „Du Martin, ich finde, du musst da einfach mehr ins Lebendig-Sein kommen“ oder „Es wäre total schön, wenn das jetzt jeder für sich in die Wahrnehmung bringt.“ Sätze zum Davonlaufen.

Machen Sie beim nächsten Online-Workshop oder Meeting doch einfach mal den Test. Spielen Sie Bullshit-Bingo mit den oben aufgelisteten Funktionsverbgefügen. Sie werden sich wundern, wie schnell Sie da ins Lachen kommen.