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Eichhörnchen sind in aller Munde

Herrje, ich habe es schon wieder gelesen: „Der Klimawandel ist in aller Munde.“ Wenn ich auf diesen Ausdruck journalistischer Hilflosigkeit stoße, stürzt sich bei mir der Duden Band 9 („Richtiges und gutes Deutsch“) mit einem tiefen Seufzer vom Regal. Professionelle Autor:innen, denen jegliche Kreativität oder Bereitschaft zum Schreiben fehlt, eröffnen ihren Beitrag mit diesem Sprachbild – der Mutter aller Floskeln.

Um eines direkt klarzustellen: Was in meinem Mund ist oder dort hinein gelangt, das bestimme allein ich. Na ja, vielleicht noch Dr. Oetker und der Weinhändler meines Vertrauens. Auf jeden Fall herrscht in meinem Mund kein Klimawandel und ebenso wenig der demographische Wandel. In meinem Mund befindet sich auch kein digitaler Transformationsprozess, nicht die Stromautobahn, die Inklusion oder die Stadt Elmshorn. Was uns manche Journalist:innen oder Mitarbeiter:innen von Pressestellen beharrlich zwischen die Zähne schieben wollen, ist nur schwer verdaulich. Es gibt nun mal Dinge, die sich für eine orale Darreichungsform nicht eignen.

 

>> Für die Tiere war es natürlich eine Umstellung. Aber wenn es irgendwo so geschrieben stand, dann musste es wohl so sein. <<


Die verflixten ersten Worte
Wer als Schreibprofi so floskelhaft aufmacht, demonstriert zunächst mal seine Einfallslosigkeit. Der Texteinstieg gehört zu den anspruchsvollsten Herausforderungen beim Schreiben. Hier gewinne oder verliere ich meine Leser:innen in nur einer Zeile oder einem Absatz. Hier lege ich als Autor:in den Grundstein für den gesamten Text. Entsprechend hoch sollte die Aufmerksamkeit sein, die ich meinem Einstieg widme.

Wer regelmäßig schreibt, kennt allerdings das Problem mit den verflixten ersten Worten. Da ist die weiße Seite, der blinkende Cursor und der Kopf voll ungeschriebener Gedanken. Hilfesuchend geht der Blick nach oben. Wie fange ich bloß an? Herr, lass Hirn herab. Häufig kommt da nichts, zumindest nicht sofort. Doch irgendwann muss man liefern, und an genau diesem Punkt trennt sich die Spreu vom Weizen: Wer fürs Schreiben bezahlt wird, der sollte sich dann wirklich etwas Besseres einfallen lassen als „Umweltverschmutzung ist in aller Munde„.

Journalistische Beiträge oder Pressemitteilungen, die mit dieser Worthülse aufmachen, versprechen auch nicht wirklich gehaltvoller oder interessanter zu werden. Da können die Leser:innen schon froh sein, wenn es nicht um die Ergebnisse eines Proktologen-Kongresses geht: „Darmkeime sind in aller Munde„. Oder als reales Beispiel: „Dampfgaren ist in aller Munde„. Hier sehen wir den Dampf förmlich aus Nase und Ohren schießen.

Sprache schafft Bilder
In aller Munde“ ist nicht nur ein völlig abgegriffenes Sprachbild, in den meisten Fällen funktioniert es auch nicht. Weil wir nämlich aus Sprache Bilder machen. Wenn wir etwas lesen oder hören, dann stellen wir es uns vor. Wenn es also heißt „Virales Marketing ist in aller Munde“, dann entstehen in unserem Kopf genau zwei Bilder: eines von Viren und ein anderes von unserer Mundhöhle. Und an genau dieser Stelle beginnt das Gaumenjucken.

Dass etwas in aller Munde sei, ist schließlich eine Aussage, die auch nicht stimmt. Nichts ist in aller Munde. Weder die epoxidbeschichteten Flanschmuffen aus einem schwäbischen Unternehmen noch der 1. FC Bocholt. Die metaphorische Bedeutung der Worthülse ist klar: Man möchte vermitteln, dass etwas in der breiten Öffentlichkeit bekannt bzw. aktuell ein großes Thema ist. Doch kurzer Check (bzw. einmal kurz nachgedacht): Bei derartigen Aufmachern herrscht in den meisten Mündern nur gähnende Leere. Es wird eine Mehrheit suggeriert, die nicht existiert.

Die Mund-Phrase entsteht also nicht nur aus Mangel an Kreativität oder Zeit. Sie dient auch dazu, Aufmerksamkeit zu erregen oder Personen, Gegenstände und Inhalte hochzustilisieren. Einfach mal darauf achten: Je tiefer man in den Pfuhl der inhaltlichen Bedeutungslosigkeit hinabsteigt, desto häufiger ist etwas in aller Munde. Je kleiner die Zielgruppe und je enger die regionalen Grenzen, desto größer wird etwas aufgebauscht.

Es gibt Fälle, in denen sich das Sprachbild mitunter bewusst und pointiert einsetzen lässt. Wie in der Pharmazeutischen Zeitung, in der eine Autorin titelte „Bakterielle Vielfalt ist in aller Munde„. Oder in einem Beitrag der Rhein-Lahn-Zeitung über regionales Bier: Braukunst aus Dausenau in aller Munde„. Das war`s aber auch schon. Darüber hinaus sollten Autor:innen auf diese Phrase grundsätzlich verzichten – schon weil sie in aller Munde ist. Sorry, ich meinte natürlich, weil sie so abgegriffen ist.

Im professionellen Kontext gebieten es der persönliche Anspruch und die journalistische Sorgfalt, nicht mit solch unkonkreten Aussagen aufzuwarten. Denn was genau bedeutet „in aller Munde“? Wer das schreibt, muss auch konkret werden. Die meisten Dinge lassen sich beziffern, Interessens- oder Zielgruppen benennen und Nachfrage bzw. Interesse regional zuordnen. Ist das nicht der Fall, sollte man das deutlich machen oder seinen Aufmacher (bzw. den Aufhänger für den gesamten Text) überdenken. Wer hingegen konkret wird, braucht anderen auch nichts in den Mund zu legen. In diesem Sinne: Wohl bekomms!

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