Da war es wieder. Ich habe es schon wieder lesen müssen: „Der Klimawandel ist in aller Munde.“ Wenn ich auf diesen Ausdruck journalistischer Hilflosigkeit stoße, stürzt sich bei mir der Duden Band 9 („Richtiges und gutes Deutsch“) mit einem tiefen Seufzer vom Regalbrett. Autor:innen, denen jegliche Bereitschaft und/oder Kompetenz zum Schreiben fehlt, eröffnen ihren Beitrag mit diesem Sprachbild.
Um eines direkt klarzustellen: Was in meinem Mund ist, das bestimme allein ich. Na ja, vielleicht noch Dr. Oetker und mein Lieblings-Italiener an der Ecke. Auf jeden Fall herrscht in meinem Mund kein Klimawandel und ebensowenig der demographische Wandel. In meinem Mund befindet sich auch kein digitaler Transformationsprozess, nicht die Stromautobahn, die Inklusion oder die Stadt Elmshorn. Was uns manche Journalist:innen oder Mitarbeiter:innen von Pressestellen beharrlich zwischen die Zähne schieben wollen, führt eher zu Übelkeit. Es gibt Dinge, die sich für eine orale Darreichungsform einfach nicht eignen.
„Etwas ist in aller Munde …“ – Was für eine schreckliche Metapher. Zunächst einmal demonstrieren Autor:innen mit einem solch floskelhaften Einstieg ihre Einfallslosigkeit. Diese verflixten ersten Worte aber auch. Wie fange ich nur an? Die weiße Seite, der blinkende Cursor und der suchende Blick nach oben: Herr, lass Hirn herab. Aber so sieht professionelles Schreiben nun mal aus: Es wird nicht nur Handwerk sondern auch Kreativität verlangt. Und wer dafür bezahlt wird, der kann sich wirklich etwas Besseres einfallen lassen als „Umweltverschmutzung ist in aller Munde„.
Beiträge oder Pressemitteilungen, die mit solchen Worthülsen aufmachen, versprechen auch nicht wirklich gehaltvoller oder interessanter zu werden. Da kann der Leser schon froh sein, wenn er nicht Teilnehmer eines Proktologen-Kongresses ist: „Darmkeime sind in aller Munde„. Oder als reales Beispiel: „Dampfgaren ist in aller Munde„. Hier sehen wir den Dampf förmlich aus Nase und Ohren schießen.
Das Sprachbild ist also nicht nur abgegriffen, es funktioniert in den meisten Fällen auch gar nicht. Und warum nicht? Weil wir aus Texten Bilder machen. Wenn wir etwas lesen, dann stellen wir es uns vor. Wenn es also heißt „Virales Marketing ist in aller Munde„, dann entstehen in unserem Kopf genau zwei Bilder: eines von Viren und ein anderes von unserer Mundhöhle. Und an genau dieser Stelle beginnt das Gaumenjucken.
Halten wir also fest: Dass etwas in aller Munde sei, ist eine Floskel, die nicht nur zu schrägen Bildern führt. Als pauschale Aussage ist sie schlichtweg falsch. Nichts ist in aller Munde. Woher will jemand wissen, wer sich alles mit einem Thema beschäftigt?
Die Mund-Floskel wird auch häufig dann verwendet, wenn es darum geht, Gegenstände oder Inhalte hochzustilisieren. Einfach mal darauf achten: Je tiefer man in den Pfuhl der inhaltlichen Bedeutungslosigkeit hinabsteigt, desto häufiger ist etwas „in aller Munde“. Je kleiner also die Zielgruppe und je enger die regionalen Grenzen, desto größer wird etwas aufgebauscht.
Ein Hersteller mag vielleicht freudig erregt sein, wenn laut dem PR-Text seiner Presseabteilung epoxidbeschichtete Flanschmuffen auf einmal in aller Munde sind – eigentlich sollte es ihm aber übel aufstoßen.